Zeug
Ich liebte alles, was ich hatte. Ich hegte und pflegte meine Sachen und behandelte sie wie Schätze. Unterm Jahr bekam ich selten etwas von meinen Eltern, aber wenn es an der Zeit war Wunschzettel zu schreiben, wuchs die Vorfreude täglich, je näher das Fest rückte. Wenn es dann endlich so weit war, dass die Geschenke ausgepackt werden durften, konnte ich mein Glück kaum fassen. Ich erinnere mich noch an so viele tolle Geschenke, die ich bekam. Eins der besten Geschenke ever war meine erste eigene Musikanlage. Das Glück, was mich überrollte, spüre ich heute noch immer, wenn ich daran zurückdenke. Etwas zu ersehnen und dann zu bekommen ist einfach…boah, ohne Worte! Mir blieb nichts anderes übrig, als geduldig zu warten und zu hoffen, dass sich meine Wünsche erfüllten.
Heute finde ich es sehr schade, wenn Kindern Wünsche oft direkt erfüllt werden. Damit wird ihnen so viel verwehrt. Unter anderem dieses tiefe Glücksgefühl und die große Freude. Beides lässt sich ein Leben lang abrufen. Jeder Mensch erlebt schwere Zeiten, da benötigt man solche Erinnerungen dringend. Immense Freude und Glücksgefühle, egal wodurch sie ausgelöst wurden, sind so heilsam. Menschen, die sich nicht freuen „können“ (Erschreckenderweise kenne ich zu viele), sie tun mir sehr leid. Viele von denen sind leider sehr schadenfroh, das tut mir auch sehr leid.
Hoffen tue ich eigentlich nur in (meist politischen) Notfällen, wenn momentan kein Ausweg in Sicht ist und die Umstände nicht in meiner Macht stehen. Als Teil des großen Ganzen war es für mich oft unerträglich, den Leidenden dieser Welt zusehen zu müssen und dabei so hilflos zu sein. In meinem Jugendzimmer hing der Spruch an meiner Wand, den wahrscheinlich jeder kennt: Gott, gebe mir die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann…den habe ich mittlerweile ganz gut verinnerlicht. Es gibt Umstände, die ich verändern kann. Das finde ich fantastisch. Da gehe ich direkt ran, oft ohne den Kopf einzuschalten. Das ist ein körperlicher Prozess. Natürlich muss auch ich, wie jeder Mensch, priorisieren und mich in manchen Vorhaben bremsen. Das ist nicht so meine Stärke.
Geduld ist auch ein wichtiges Geschenk. Wenn man gelernt hat, geduldig zu sein und auszuhalten, dann kann man etliche Klippen des Lebens sorglos umschiffen. Geduld ist eine der existentiellsten Stärken, die ich besitze. Geduld ist eine imaginäre Waffe. Wenn es um Zeug ging, was ich unbedingt haben oder auch machen wollte, sparte ich echt richtig geduldig. Ich wollte nicht mit anderem Kram kompensieren. Allein schon wegen der riesigen Glückswelle, die auf mich wartete, wenn ich dann beispielsweise endlich die Konzertkarte in den Händen hielt oder eine weite Reise machen konnte. Negativ daran war dann aber, dass sich Zeug ansammelte.
Weil ich nämlich an allem so hing, war es praktisch unmöglich, mich von etwas zu trennen. Es war nicht zu viel, aber ich fühlte mich eingeengt. Manches verstaute ich dann in Kisten, weil ich noch nicht loslassen konnte. Das hat sich zum Glück komplett verändert. Irgendwann packte mich die „Ausmistwut“ (neues Wort, habe ich gerade erfunden). Ich verschenkte, verkaufte und warf weg. Es war wunderbar und es ist immernoch wunderbar. Es macht auch ein bisschen süchtig. Ich frage mich oft, was ich als Nächstes loswerden kann. Es ist sooo befreiend.